Anicca – Endlichkeit in einem unendlichen Universum erfahren

Anicca – Ein Wort das in Erinnerung bleibt

Es gibt Wörter, die sind wie Türen.

Man hört sie, und etwas in einem öffnet sich.

„Anicca“ war genau so ein Wort.
Ich habe es zum ersten Mal beim Vipassana gehört.
Und nein, es kam nicht mit Engelschor, goldenem Licht oder dramatischer Offenbarung.
Es war einfach da. Wieder und wieder. Wirklich wieder und wieder.

Wie ein Echo, das nicht nervt, sondern seltsam vertraut wirkt.
Fast so, als hätte ich dieses Wort schon einmal gehört

– vielleicht nicht in diesem Leben, aber irgendwo dazwischen.
(Und ja, ich weiß, so reden Menschen, die zu lange meditiert haben.

Vielleicht bin ich da schon angekommen.)

Ich verstand es nicht rational.


Es war eine merkwürdig mystische Erfahrung, ähnlich wie damals auf dem Camino Santiago.
Wenn man schon sehr lange unterwegs war und Schritt für Schritt etwas hinter sich lässt.
Man schaut nicht zurück, man schaut nach vorne.
Es gibt keinen Weg zurück.


Das klingt total logisch. Aber der Verstand liebt es nun mal an etwas festzuhalten.
Der Verstand wiIl normalerweise gerne kontrollieren. Und haftet gerne an gestern oder morgen an.
Aber nach vielen Schritten, vielen Kilometern, die man auf dem Camino Santiago geht,

sind die Eindrücke der Natur, der Menschen so vielfältig – es ist kaum möglich alles

Wahrgenommene festzuhalten, da immer wieder neue Eindrücke entstehen.
Und so lässt man los – lässt Dinge bewusst oder unbewusst hinter sich.
Irgendwann zählt nur noch die Gegenwart.
nur noch das Eintauchen in das Jetzt bleibt.
Es ist nur noch das da, was gerade ist.
Nicht mehr die Geschichten von vorher.
Nicht das, was später sein oder kommen könnte.
Nur dieser Moment.

Genau dieses Bewusstsein kam wieder in mir auf, als ich lange Zeit im Vipassana-Retreat meditierte.

Anicca in der Meditation – Das Mantra des Wandels

In den täglichen Meditationen tauchte das Wort immer wieder auf.
Leise. Beständig.

Annica… Annicca… Anicca…“

Ich wusste nicht wirklich, was es bedeutete.
Aber ich spürte, dass es etwas Wichtiges in sich trug.

Vielleicht war es wie ein kleines Mantra, das man tief in sich versteht,

ohne dass der Verstand sofort nachkommt.
Aber mein Körper verstand es irgendwie.
Es fühlte sich an wie eine erkenntnisreiche Einladung:

„Du kannst loslassen. Alles bewegt sich sowieso.“

„Ich atme ein, ich atme aus. Ein Atemzug. Er ist vorbei, der nächste kommt. Anicca.“

Nun sind das rationale Brücken, die der Verstand erschafft.

Doch diese Erkenntnisse kommen aus dem Inneren und der Verstand wird zum Verständnis

durch die spürbare Erfahrung der Worte.

Mit der Zeit wurde klar. Anicca erzählt uns die Wahrheit über die

Gegebenheiten des Seins, des Moments, des Augenblicks.

Alles geht vorbei.
Alles ist ein Kommen und Gehen.

Schöne Gefühle, schwere Gefühle – alles ist nur ein Moment.

Man könnte auch sagen:

„Auch das wird vorübergehen.“

Denn genau das bedeutet es:
Alles geht vorbei.
Alles verändert sich.
Und egal, ob es schön ist oder schwer – es bleibt nicht.


Und dieser Moment wird – unaufhaltsam – in den nächsten übergehen.

Wie der Übergang im Unendlichkeitszeichen.

Woher das Wort Anicca (अिनत्य) stammt

Sprache ist manchmal lustig.
Man nimmt ein kleines Wort aus dem Pali, Sanskrit अिनत्य auseinander, und plötzlich steht da:

  • a- = nicht, un-
  • nicca = dauerhaft, beständig

Also: „nicht dauerhaft“.

Und schwupps:
Der Kern der Vergänglichkeit. Die Natur aller Dinge.
So nüchtern wie eine mathematische Gleichung.


Und gleichzeitig so mystisch wie eine alte Inschrift, die man zufällig in sich selbst findet.

Anicca steht für die Vergänglichkeit aller Dinge –

eine zentrale Erkenntnis in der Buddhistischen Meditation und in der Achtsamkeitspraxis.

Ein unerwarteter Moment – ein Kaffee und die Endlichkeit

Der lustigste Teil?
EIner der tiefsten Momente kam nicht beim Meditieren.
Natürlich nicht.

Die Erfahrung kam nicht mittels eines riesigen vor angekündigten Aha-Moments.

Es war ein ganz normaler Tagesmoment.
Ich lief mit einem Kaffee den Gang entlang.
Wie auch sonst üblich nach einer langen intensiven Meditationssitzung.

Und plötzlich war er da:
Der Gedanke, das Gefühl – oder vielleicht der Zustand – von Anicca.

„Dieser Moment kommt nie genau so wieder.“

„Anicca.“

Der Zustand überrollte mich – nahm das ganze Sein ein.

Es fühlte sich an wie das Bewusstsein, dass dies genau jetzt

das letzte Mal ist, dass dieser Moment so existiert.
Der letzte Schluck Kaffee in genau diesem Raum,

in genau dieser Stimmung,

mit diesem Körper, mit dieser Version von mir.

Irgendwie war es wie ein zeitloser Zustand – einer Bewusstwerdung,

Und dann kam sie: die Trauer.
Echte, spürbare Trauer.
Über die Vergänglichkeit, die Einsicht des Endlichen des Lebens.

Und zugleich eine überwältigende Dankbarkeit.
Dankbarkeit dafür, überhaupt zu sein.
In einem Körper, auf dieser Erde,
die Fähigkeit zu haben, zu lieben, Menschen zu berühren.

Kaffee zu schmecken, Augenblicke zu erleben.

Traurig und schön zugleich.
Traurig, weil alles endlich ist.
Schön, weil gerade diese Endlichkeit eine Art Liebeserklärung an das Leben ist.

Die Worte der Vipassana-Lehrerin – Sankharas und das Loslassen

Die Erfahrung ließ mich nicht los.
Also fragte ich die Lehrerin vor Ort, was das zu bedeuten hatte.

Sie sagte nur:

„Auch das ist ein Sankara.“
„Auch die Trauer über das Endliche ist eine Anhaftung.“

Ein Sankhara – einer der zentralen Begriffe bei Goenka – bedeutet:

  • Reaktionsformation
  • konditionierte Eindrücke
  • alte Muster
  • mentale Abdrücke
  • Anhaftungen

Im Vipassana lernt man, alte Sankharas zu verbrennen, indem man sie einfach beobachtet –
mit Gleichmut, ohne Widerstand.

Warum wir an der Vergangenheit festhalten

Ein Teil von uns hält so sehr am Bekannten fest.
An der Vergangenheit.
An dem, was Sicherheit gibt.

Wir definieren uns über Erinnerungen:

Wer bin ich?

Wir beantworten diese Frage meist, indem wir zurückblicken.
Wer war ich vorher?
Wie war ich früher?
Welche Bilder trägt mein Gedächtnis?

Unser Gehirn – besonders der Hippocampus – speichert Bilder, Erinnerungen, kleine Szenen…

Vielleicht kennst du das von dir, wenn du an irgendeine deiner Charaktereigenschaften denkst.

Eine oder wiederholte Situationen kommen auf, die dir sagen „Ich bin so.“
Schlussendlich basteln wir kreativ daraus ein auf uns zugeschnittenes Bild unserer Identität:
„Das bin ich.“

Aber:

Anicca lädt uns ein, diesen spürbaren Griff wortwörtlich etwas zu lockern:

  • Du bist nicht deine Vergangenheit.
  • Du bist nicht deine Gedanken.
  • Du bist nicht die alten Geschichten.

Du bist der Moment, der Atemzug, der Schritt, den du JETZT machst.

Anicca lädt uns ein, das loszulassen, was uns oft gefangen hält:
Anhaftung an das Bekannte, an die Vergangenheit, an die Identität, die wir glauben zu sein.

Anicca sagt:

„Komm zurück ins Jetzt.“

„Auch das wird vorübergehen.“

„Alles ist ein Moment im Fluss“

Und genau darin liegt die Magie:
Wenn wir das Endliche akzeptieren, erhalten wir Zugang zu echter Freiheit, zu Achtsamkeit, zu innerem Wandel, zu einer tieferen Erfahrung – und letztlich zu uns selbst. Wir lassen alte bewährte Muster hinter uns, verbrennen diese, die uns nicht mehr im Jetzt dienen.

Vielleicht könnte so Anicca aussehen? Lasst gerne einen Kommentar da!

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